'Schicksal sind die Karten, die das Leben uns in die Hand legt. Geschick ist, was wir aus diesen Karten machen.' Unter diesem Motto erreichten eines kalten Wintertages die 22 Karten der großen Arkana 22 Autoren, die sich der Herausforderung gestellt hatten, zu jener einen Karte eine Geschichte zu schreiben. Lesen Sie vom Rad des Schicksals, das sich als Flasche dreht und vom Stern, der den Kindern im Schatten sein Licht schenkt. Treffen Sie den Tod, der in der Zukunft lauert und die Herrscherin, die unter Tage wohnt. Gehen Sie mit in den Turm, der einem jeden seine Prüfung aufzwingt und finden Sonne und Mond, Narr und Hohepriesterin, die Welt und die Gerechtigkeit, den Teufel und die Mäßigkeit und jede andere Karte, in der das Schicksal lauern kann ... Mit Geschichten von Nina Behrmann, Veronika Bicker, Susanne Bonn, Tanya Carpenter, Thilo Corzilius, Ruth M. Fuchs, Katharina Gerlach, Gabriele Gfrerer, Moritz B. Hampel, Peter Hohmann, Sven I. Hüsken, Ann-Kathrin Karschnick, Diana Kinne, Christoph Marzi, Diana Menschig, Oliver Plaschka, Fabienne Siegmund, Carsten Steenbergen, Ulrike Stegemann, Andrea Tillmanns, Annika Weber, Rebecca Wild und einer Einführung von Mara Laue. Illustrationen von Elke Brandt, Tatjana Kirsten und Chris Schlicht.
Autorentext
Leseprobe
Gespiegelte Sterne
We have loved the stars too fondly to be fearful of the night.
John Alfred Brashear (1840- 1920)
Solitaire.
Der Name hing wie ein Schatten über dem verlassenen Jahrmarkt und färbte den klaren Nachthimmel noch ein Stück dunkler. Ein silberner Mond lächelte auf ihn hinab, wie er da reglos vor dem gusseisernen Tor stand, eine Hand schon auf der verrosteten Klinke.
Warum drückte er sie nicht hinunter? Warum trat er nicht unter dem Bogen hindurch, der sich wie ein in Schatten getauchter Regenbogen über das Tor spann?
Es würde nichts geschehen. Es geschah doch nie etwas, und doch stets alles auf einmal.
Solitaire.
Die Luft roch noch nach ihr, wie sie manchmal nach Nebel riecht, den man schon nicht mehr sieht. Kein Stern stand am Himmel. Vielleicht hatte sie sie alle vom Himmel gepflückt, vielleicht war ihre Suche von Erfolg gekrönt gewesen, am Ende. Ohne ihn, der ihr blindlings hinterher gestolpert war, ein Blinder, der der Blinden gefolgt war.
Solitaire hatte nichts gesehen. Ihr Blick war stets in den Himmel gerichtet gewesen, und er hatte ihr Ziel nie in Frage gestellt, obwohl er alle Antworten gewusst hatte.
Er hatte sie in ihren Augen gesehen.
Und in seinem Herzen gespürt, als wäre sein Herz der Spiegel ihrer Augen gewesen.
Der Gedanke an den Spiegel ließ ihn schmunzeln.
Er war ein Spiegel, und er sah sich selbst nur in anderen Spiegeln.
Seine Hand drückte die Klinke herunter und er betrat den dunklen Jahrmarkt, wo die Karussells und das Riesenrad nicht mehr als schwarze Konturen vor dunkelblauem Grund waren und die Buden ihm ihre leeren Auslagen wie hungrige Mäuler, die gefüttert werden wollten, entgegenstreckten.
Er würde ihnen nichts geben können. Nichts sonst trug er mehr bei sich, nur jene eine mondsilberglänzende Münze, und die war für etwas anderes bestimmt. Früher, früher hatte er den Regen mit seinen Tränen gefüttert und nicht einmal bemerkt, dass er weinte.
Früher war Solitaire bei ihm gewesen.
Solitaire, die Kreidesterne auf den Asphalt malte, um den Himmel auf die Erde zu holen.
Solitaire, die stets nur dem einen Traum, dem einen Ziel gefolgt war.
Einen Stern zu fangen.
Und er? Er war mit ihr gegangen.
Die Schritte, die er jetzt machte, ging er allein.
Er passierte das alte Kettenkarussell, das Solitaire in den Himmel getragen hatte, damals, Nacht für Nacht, damit sie die Hände nach den Sternen ausstrecken konnte. Zwischen den Ketten hörte er ihr Lachen, als hätte es sich darin verfangen.
Die Tränen hörte er nicht. Aber auf ihrer Reise, da hatte er sie gehört.
In der Dunkelheit, wenn sie neben ihm gelegen und gedacht hatte, er würde schlafen.
Aufgefangen hatte er jeden Tränentropfen, und ihr gezeigt, in der Frühe, wenn das Licht zurückgekehrt war.
Aber Solitaire hatte sie nur weggelacht, war aufgesprungen, und in ihren grünen Augen hatten goldene Punkte geleuchtet, als wären ihre Iriden eine grüne Nacht voller Sterne.
Und sie hatten weiter gesucht.
Nach dem Stern.
Eine Suche nach dem Regenbogen war es gewesen, und keiner von ihnen hatte bemerkt, dass sie nur den Regen fanden, der auf sie herabfiel - denn selbst aus hoffnungsblauverfärbten Himmeln konnte es regnen.
Einzig, sie hatten die Tropfen genauso wenig beachtet wie die Tränen in ihren Augen. Er hatte sie weggelacht, und sie ebenso, denn er war ein Spiegel, der sich nur in ihr gespiegelt hatte.
Seine Schritte führten ihn weiter, zu der Bude, an der man einst für eine Münze drei sich an der Rückwand drehende Teller hatte mit einem Ball zerbrechen müssen, um zu gewinnen. Solitaire hatte damals drei Bälle von dem alten Mann gekauft.
"Wenn alle drei Treffer sind, dann gehen wir", hatte sie gelacht und den ersten Ball geworfen. Der
Autorentext
Mit Geschichten von Nina Behrmann, Veronika Bicker, Susanne Bonn, Tanya Carpenter, Thilo Corzilius, Ruth M. Fuchs, Katharina Gerlach, Gabriele Gfrerer, Moritz B. Hampel, Peter Hohmann, Sven I. Hüsken, Ann-Kathrin Karschnick, Diana Kinne, Christoph Marzi, Diana Menschig, Oliver Plaschka, Fabienne Siegmund, Carsten Steenbergen, Ulrike Stegemann, Andrea Tillmanns, Annika Weber, Rebecca Wild und einer Einführung von Mara Laue.
Leseprobe
Gespiegelte Sterne
We have loved the stars too fondly to be fearful of the night.
John Alfred Brashear (1840- 1920)
Solitaire.
Der Name hing wie ein Schatten über dem verlassenen Jahrmarkt und färbte den klaren Nachthimmel noch ein Stück dunkler. Ein silberner Mond lächelte auf ihn hinab, wie er da reglos vor dem gusseisernen Tor stand, eine Hand schon auf der verrosteten Klinke.
Warum drückte er sie nicht hinunter? Warum trat er nicht unter dem Bogen hindurch, der sich wie ein in Schatten getauchter Regenbogen über das Tor spann?
Es würde nichts geschehen. Es geschah doch nie etwas, und doch stets alles auf einmal.
Solitaire.
Die Luft roch noch nach ihr, wie sie manchmal nach Nebel riecht, den man schon nicht mehr sieht. Kein Stern stand am Himmel. Vielleicht hatte sie sie alle vom Himmel gepflückt, vielleicht war ihre Suche von Erfolg gekrönt gewesen, am Ende. Ohne ihn, der ihr blindlings hinterher gestolpert war, ein Blinder, der der Blinden gefolgt war.
Solitaire hatte nichts gesehen. Ihr Blick war stets in den Himmel gerichtet gewesen, und er hatte ihr Ziel nie in Frage gestellt, obwohl er alle Antworten gewusst hatte.
Er hatte sie in ihren Augen gesehen.
Und in seinem Herzen gespürt, als wäre sein Herz der Spiegel ihrer Augen gewesen.
Der Gedanke an den Spiegel ließ ihn schmunzeln.
Er war ein Spiegel, und er sah sich selbst nur in anderen Spiegeln.
Seine Hand drückte die Klinke herunter und er betrat den dunklen Jahrmarkt, wo die Karussells und das Riesenrad nicht mehr als schwarze Konturen vor dunkelblauem Grund waren und die Buden ihm ihre leeren Auslagen wie hungrige Mäuler, die gefüttert werden wollten, entgegenstreckten.
Er würde ihnen nichts geben können. Nichts sonst trug er mehr bei sich, nur jene eine mondsilberglänzende Münze, und die war für etwas anderes bestimmt. Früher, früher hatte er den Regen mit seinen Tränen gefüttert und nicht einmal bemerkt, dass er weinte.
Früher war Solitaire bei ihm gewesen.
Solitaire, die Kreidesterne auf den Asphalt malte, um den Himmel auf die Erde zu holen.
Solitaire, die stets nur dem einen Traum, dem einen Ziel gefolgt war.
Einen Stern zu fangen.
Und er? Er war mit ihr gegangen.
Die Schritte, die er jetzt machte, ging er allein.
Er passierte das alte Kettenkarussell, das Solitaire in den Himmel getragen hatte, damals, Nacht für Nacht, damit sie die Hände nach den Sternen ausstrecken konnte. Zwischen den Ketten hörte er ihr Lachen, als hätte es sich darin verfangen.
Die Tränen hörte er nicht. Aber auf ihrer Reise, da hatte er sie gehört.
In der Dunkelheit, wenn sie neben ihm gelegen und gedacht hatte, er würde schlafen.
Aufgefangen hatte er jeden Tränentropfen, und ihr gezeigt, in der Frühe, wenn das Licht zurückgekehrt war.
Aber Solitaire hatte sie nur weggelacht, war aufgesprungen, und in ihren grünen Augen hatten goldene Punkte geleuchtet, als wären ihre Iriden eine grüne Nacht voller Sterne.
Und sie hatten weiter gesucht.
Nach dem Stern.
Eine Suche nach dem Regenbogen war es gewesen, und keiner von ihnen hatte bemerkt, dass sie nur den Regen fanden, der auf sie herabfiel - denn selbst aus hoffnungsblauverfärbten Himmeln konnte es regnen.
Einzig, sie hatten die Tropfen genauso wenig beachtet wie die Tränen in ihren Augen. Er hatte sie weggelacht, und sie ebenso, denn er war ein Spiegel, der sich nur in ihr gespiegelt hatte.
Seine Schritte führten ihn weiter, zu der Bude, an der man einst für eine Münze drei sich an der Rückwand drehende Teller hatte mit einem Ball zerbrechen müssen, um zu gewinnen. Solitaire hatte damals drei Bälle von dem alten Mann gekauft.
"Wenn alle drei Treffer sind, dann gehen wir", hatte sie gelacht und den ersten Ball geworfen. Der
Titel
Das Tarot
Untertitel
Phantastische Geschichten
Autor
Illustrator
Einführung
Editor
EAN
9783940036889
ISBN
978-3-940036-88-9
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Genre
Veröffentlichung
02.12.2015
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
1.59 MB
Anzahl Seiten
350
Jahr
2015
Untertitel
Deutsch
Lesemotiv
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