Marlene Krahl lebt für die Musik. Ihre Kompositionen und Forschungen im Bereich der elektronischen Avantgarde beanspruchen sie mit Haut und Haar, als ihr früherer Bandkollege Harry Bieler sie nach Jahren unverhofft in Venedig wiedertrifft. Noch immer ist er fasziniert von ihr als Frau und Künstlerin. Gegen seine Zweifel setzt sie Entschiedenheit. Er sucht Zugang zu ihren Sphären, will ihr Förderer und Geliebter werden und holt sie nach München zurück. Ihr kompromissloser Kunstwille gibt ihm die Kraft, das familieneigene Unternehmen radikal neu zu erfinden. Doch mit dem wachsenden Erfolg kommt auch die Frage ans Licht, wozu er führt. Und was noch bleibt, wenn sich die Zeiten ändern? Mit 'Die Einzigen' gelingt Norbert Niemann ein virtuoser Roman über die unbedingte, lebensdurchdringende Kraft von Kunst und Liebe in Zeiten des entfesselten Marktes.

Norbert Niemann, 1961 in Niederbayern geboren, studierte Literatur, Musikwissenschaft und Geschichte. Für seinen ersten Roman 'Wie man's nimmt' (1998) erhielt er den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis. 2001 erschien sein zweiter Roman, 'Schule der Gewalt', sowie 2008 der für den deutschen Buchpreis nominierte Roman 'Willkommen, neue Träume'. Seit 1997 lebt er als freier Schriftsteller in Chieming am Chiemsee. Zuletzt erschien 2014 der Roman 'Die Einzigen' im Berlin Verlag.

Vorwort
Ein großer Roman über Musik und die Liebe

Autorentext
Norbert Niemann, 1961 in Niederbayern geboren, studierte Literatur, Musikwissenschaft und Geschichte. Für seinen ersten Roman "Wie man's nimmt" (1998) erhielt er den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis. 2001 erschien sein zweiter Roman, "Schule der Gewalt", sowie 2008 der für den deutschen Buchpreis nominierte Roman "Willkommen, neue Träume". Seit 1997 lebt er als freier Schriftsteller in Chieming am Chiemsee. Zuletzt erschien 2014 der Roman "Die Einzigen" im Berlin Verlag.

Leseprobe

7.

Während des Auftritts trafen sich ihre Blicke nur ein einziges Mal, ausgerechnet als er mit den Gedanken woanders war. Scham durchzuckte ihn, sein Gesicht wurde heiß. Harry saß zwischen spärlichem Publikum in einer der hinteren Sitzreihen des Barocksaals. Langweilte sich. Zuerst gab es einige nicht enden wollende Stücke für Marimba, Schlagzeug und Sprechgesang, dann eine Nummer für Schlagzeug solo, dann für Sopran und Tuba. Endlich kam Marlene an die Reihe.

Sie trug ein knielanges graublaues Seidenkleid, das die Schultern frei ließ und beim Verbeugen in glockenartiges Schwingen geriet. Gleich darauf verschwand sie hinter einem langen Tisch, auf dem eine Wand aus Apparaten aufgebaut war. Eine Unmenge Kabel hing auf den Boden herab. Vermutlich drehte sie an irgendwelchen Knöpfen, verschob Regler, drückte Schalter, von seinem Platz aus ließ sich das nicht erkennen, er konnte nur ein schwankendes Büschel Haare über den metallenen Kästen sehen. Dann, anfangs kaum hörbar, allmählich anschwellend, begannen sich brummende, schnurrende, kreischende Laute auszubreiten. Sie überlagerten einander, trennten sich wieder, versickerten, zerbröselten, wurden von anderen sirrenden, glucksenden, blasenden, gurrenden, blubbernden, tosenden Lauten abgelöst, verschmolzen zu neuen Klangtrauben, Klangknäueln, lösten sich abermals auf. Er schaute durch das Kabelgestrüpp auf ihre unter dem Tisch hin und her ruckenden Schienbeine, die hektisch auf den Schuhspitzen wippenden Füße.

Plötzlich stand sie am Bühnenrand, er hatte gar nicht mitbekommen, wie sie dort hingelangt war, hielt eine silbern glänzende Box zwischen den Fingern, legte einen Hebel um. Er fuhr auf. Ein unangenehmer Ton schrillte, legte sich über die Rhythmen aus den Lautsprechern. Marlene begann das metallene Ding behutsam auf und ab zu bewegen. Der Ton wurde höher, tiefer, höher, tiefer. Ihr Oberkörper geriet in ein leichtes Schaukeln. Die Lautstärke schwoll an, ab, an. Die Hand mit dem Kästchen malte Kreise, Schlaufen, Ellipsen, Spiralen, etwas Ähnliches wie eine Melodie entspann sich.

Harry war irritiert, auch ein wenig enttäuscht. Er konnte diese seltsam abgehobenen, sich selbst genügenden elektronischen Geräusche nur schwer mit der außerordentlichen Begabung zusammenbringen, die er Marlene zuschrieb. Es berührte ihn unangenehm, dass er im Grunde nichts damit anfangen konnte. Schon hörte er nicht mehr hin, zählte stattdessen die größtenteils weißhaarigen Köpfe des Publikums.

Als er sich dann doch wieder ihrem Auftritt zuwandte, kam es ihm auf einmal vor, als sähe er einen alten Stummfilm. Marlene bewegte sich so sonderbar. Zackig, fast wie ein Soldat, der in gedrillter Mechanik eine futuristische Geheimwaffe präsentiert. Etwas an den konzentrierten Gesten hypnotisierte ihn, sein Blick folgte dem wirbelnden Kästchen, er hoffte, Buchstaben und Wörter in die Luft geschrieben zu sehen, doch er erkannte nur Gekrakel. Seinen Augen rissen sich los von den silbernen Schleifen, musterten Marlenes Miene, die stechenden Augen, die aufeinandergepressten Lippen. Er stellte sich vor, wie die Kiefermuskeln sich lösen würden durch eine einzige zarte Berührung. Sah es vor sich. Wie seine Fingerspitzen über die Vertiefung der winzigen Narbe über ihrer Schläfe strichen, während sich ihre Lider senkten, die Lippen sich öffneten, Zähne sichtbar wurden, die Zungenspitze.

Genau in dem Moment fiel ihr Blick auf ihn.

Er starrte zu Boden.

Seine Umgebung nahm Harry erst wieder wahr, als höflicher Applaus einsetzte. Beim Verlassen des Saals schaute er auf die Uhr. Marlenes Auftritt hatte gerade einmal zehn Minuten geda

Titel
Die Einzigen
Untertitel
Roman
EAN
9783827077653
ISBN
978-3-8270-7765-3
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
15.09.2014
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
1.43 MB
Anzahl Seiten
288
Jahr
2014
Untertitel
Deutsch
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet