Olivie Blake liebt und schreibt Geschichten - die meisten davon fantastisch. Besonders fasziniert ist sie dabei von der endlosen Komplexität des Lebens und der Liebe. Sie arbeitet in Los Angeles, wo sie von ihrem Lieblings-Pitbull gnädig toleriert wird. Ihr selbst publiziertes Buch 'The Atlas Six' wurde auf TikTok zur Sensation, bevor es von Tor Books erneut veröffentlicht und in über zwanzig Sprachen übersetzt wurde.
Autorentext
Olivie Blake liebt und schreibt Geschichten - die meisten davon fantastisch. Besonders fasziniert ist sie dabei von der endlosen Komplexität des Lebens und der Liebe. Sie arbeitet in Los Angeles, wo sie von ihrem Lieblings-Pitbull gnädig toleriert wird. Ihr selbst publiziertes Buch The Atlas Six wurde auf TikTok zur Sensation, bevor es von Tor Books erneut veröffentlicht und in über zwanzig Sprachen übersetzt wurde.
Leseprobe
I: Waffen
Libby
Fünf Stunden zuvor
Am selben Tag, an dem Libby Rhodes Nicolás Ferrer de Varona kennenlernte, stellte sie fest, dass nur das Wort wutentbrannt, für das sie bisher keinerlei Verwendung gehabt hatte, ihre Gefühle beschrieb, wenn er in der Nähe war. Libby hatte an diesem Tag versehentlich die jahrhundertealten Vorhänge im Büro der Dekanin Professor Breckenridge angezündet, so dass ihre Zeit an der New York University of Magical Arts gleichzeitig mit ihrem unsterblichen Hass auf Nico begann. Seitdem hatte sie jeden Tag vergeblich versucht, sich in Zurückhaltung zu üben.
Doch der heutige Tag würde trotz ihrer Zündkraft anders laufen, denn es war ihr letzter Tag an der Uni. Abgesehen von unabsichtlichen Begegnungen, bei denen sie einander sicherlich mit aller Macht ignorieren würden, würden Nico und sie endlich getrennte Wege gehen. Manhattan war groß und voller Menschen, die sich aus dem Weg gingen. Sie würde nie wieder mit Nico de Varona zusammenarbeiten müssen. An diesem Morgen hätte sie vor Freude fast angefangen zu singen, was ihr Freund Ezra auf näherliegende Gründe zurückgeführt hatte: Sie würde als Jahrgangsbeste ihren Abschluss machen (sie und Nico waren gleichauf, aber es war sinnlos, daran zu denken) und die NYUMA-Abschiedsrede halten. Beides ohne Frage große Ereignisse, doch noch verlockender war der neue Lebensabschnitt, der danach kam.
Nach diesem Tag würde sie Nico de Varona nie wieder sehen müssen, und nichts machte sie so glücklich wie die Aussicht auf ein nicofreies Leben.
»Hi, Rhodes«, sagte Nico, als er seinen Platz neben ihr auf der Bühne einnahm. Ihr Nachname perlte von seiner Zunge, bevor er, süffisant wie immer, die Nase hob und schnüffelte. Manchen reichten wohl seine sonnengebräunten Grübchen und seine genau richtig gebrochene Nase, um über seine geringe Größe und seine zahlreichen Charakterschwächen hinwegzusehen. Für Libby hatte Nico de Varona einfach nur gute Gene und mehr Selbstbewusstsein, als ein Mensch haben sollte. »Hm. Merkwürdig. Riecht es hier nach Rauch, Rhodes?«
Sehr witzig. Zum Schreien.
»Pass bloß auf, Varona. Dir ist klar, dass das Auditorium genau über einer Verwerfungslinie erbaut ist, ja?«
»Logisch. Immerhin werde ich das gesamte nächste Jahr daran arbeiten«, konterte er. »Übrigens echt schade, dass du das Stipendium nicht bekommen hast.«
Weil er ihr mit dieser Bemerkung offensichtlich nur auf die Nerven gehen wollte, ließ Libby den Blick über die Menge wandern und ignorierte ihn. Das Auditorium war voller, als sie es je erlebt hatte. Absolventen und ihre Familien belegten jeden einzelnen Platz bis hoch auf die Empore und quollen bis in den Vorraum hinaus.
Sogar aus der Ferne konnte Libby ihren Vater sehen, der seinen einzigen guten Blazer trug. Er hatte ihn vor zwanzig Jahren für eine Hochzeit gekauft und trug ihn seither zu jeder auch nur annähernd feierlichen Veranstaltung. Er saß neben Libbys Mutter, fast genau in der Mitte des Saales. Während sie die beiden beobachtete, überkam Libby plötzlich eine heftige Zuneigung. Sie hatte ihnen natürlich gesagt, dass sie nicht kommen mussten. Umstände und so weiter. Aber ihr Vater war in seinen Blazer geschlüpft, ihre Mutter hatte Lippenstift aufgetragen, und auf dem Stuhl neben ihnen ...
War nichts. Libby fiel der leere Platz gerade in dem Augenblick auf, als sich eine Jugendliche in High Tops durch die Reihe schlängelte, der gehstockbewehrten Großmutter eines Absolventen auswich und der Menge eine Grimasse schnitt, die deutlich machte, was sie von den Leuten hier hielt. Die Szene war in ihren Gegensätzen fast schon unheimlich: die vertraute Miene jugendlichen Überdrusses (der in dem zu den Sneaker kombinierten trägerlosen Kleid zwiespältigen Ausdruck fand) und der sehr reale, leere Stuhl neben Libbys Eltern. Ihr Blick ver