Leseprobe
Zweites Kapitel Inhaltsverzeichnis
Nun war es mir wie ein Traum, daß große Herrschaften auf der Welt sind, und ich bin so arm zu Hause, daß ich nicht einmal eine Herberg und ebensowenig Geld und Hausrat habe; meine Schwestern konnten mir auch so wenig helfen, wiewohl zwo verheuratet waren: denn sie hatten selbst nichts, als jede einen Haufen kleiner Kinder und Ölträger zu Männern.
Mein übler Nachbar, der Hunger, fand sich auch bei mir wieder ein.
Ich redete oft mit meinen Spielkameraden, von welchen keiner aus dem Ort gekommen ist, von der weiten Welt; denn sie hielten mich schon für einen Gereisten, und ich erzählte ihnen von den großen Herrschaften, Tafeln und was ich immer gesehen habe.
Wie in der ganzen Welt bekannt, daß die unsterbliche Kaiserin Maria Theresia von allen ihren Untertanen nicht umsonst als eine wahre Mutter geliebt wurde, so hörte ich auch, daß sie die Tyroler absonderlich gern hätte. Tag und Nacht gingen mir dergleichen Gedanken, wie ich mich etwa bei ihr beliebt machen könnte, in meinem Gehirn herum.
Allein der Hunger tat weh, und ich mußte mich bestreben, daß zu essen bekam.
Ich ging deswegen unter meinen Befreunden bald zu diesen, bald zu jenen, aber die Freundschaft hatte bald ein Ende, und sie wurden meiner Visite gleich überdrüssig; ich mußte mich, um mich des Hungers zu erwehren, zum Schafhüten verdingen. Nun hütete ich am Riedberge, eben bei demjenigen Bauern, nämlich z' Örtler, wo ich das erstemal hätte hin sollen, die Schafe, und bekam in der Frühe eine Suppe und ein Mus zu essen; auf Mittag gab man mir ein paar Hände voll Dämpfnudeln mitzutragen, welche allemal um zehn, längstens bis eilf Uhr schon verzehret waren. Fünfzig bis sechzig Schafe hatte ich zu hüten, und diese gingen im Gebirge so weit auseinander, daß ich den ganzen Tag Kreuz hin, Kreuz her, über Stöcke, Steine und gefährliche Gräben laufen und springen mußte, um keines davon zu verlieren.
Eine Tages, auf den Abend, legte ich mich in der Dämmerung sehr hungrig und abgemattet nach aller Länge auf den Wasen hin und überlegte das, was sich zeither mit mir zugetragen, wie auch meinen gegenwärtigen Zustand. Auf einmal hörte ich neben meiner im Gesträuß etwas dahertrappen und wurde also in meinem Nachdenken gestört. Futsch war ich auf und sah eine junge weiße Ziege mit einem Jungen. Ich schlich ihr durchs Gesträuch nach, ohne zu bedenken, wo wir waren, weil ich halt Milch bei ihr zu bekommen hoffte, um sie zu trinken und meinen Hunger damit zu stillen; ich erwischte sie auch wirklich bei einem hintern Lauf und hielte sie fest; die Ziege aber erschrak und machte mit mir, weil ich sie nicht entlassen wollte, einen Kapriol von zwölf Schuh hoch über einen Felsen, Stock und Stauden hinunter. Wie wir uns unterwegs getrennet haben, weiß ich nicht mehr. Ich lag auf einer Ebene, geschunden und zerkratzet am ganzen Leib, und sah die Ziege mit ihrem Jungen an einem andern Felsen klettern; mich lüstete aber nicht mehr nach ihrer Milch, sondern ich mußte darauf bedacht sein, auf welcher Seite des Felsens ich wieder zu meinen Schafen kommen könnte; trieb diese zusammen und nach Hause. In Zeit von vierzehn Tagen gingen die Schafe auf die Alpe, und mein Verdienen nahm ein Ende.
Nun kam ich zu meinem alten Görgen und bat ihn wieder um die Herberge, welcher mich auch einnahm. Da schlief ich dann auf dem Solder unter dem Dach, hatte einen Teppich halb unter, halb über mich und ein Stück Holz unter dem Kopf. Endlich wurde ich krank; und das Häusl von meinen Eltern verkauften mein Bruder und sein böses Weib an meinen Schwager, welcher mich in meiner Krankheit abholte und mich in sein neuerkauftes Häusl ebenfalls unters Dach auf das Heu überlegte, wo ich auch besser ausruhen konnte.
Ich wurde (Gott sei Dank) wieder gesund und logierte noch bei meinem Schwager auf dem Heu.
Tausenderlei Gedanken von großen Herren, von Gnaden und Glück, von der guten Kaiserin, welche