Samir ist auf einer Reise, die Gegenwart und Vergangenheit verbinden soll: Er will endlich die Wahrheit über seinen Vater erfahren, der die Familie vor zwanzig Jahren ohne eine Nachricht verlassen hat. Mit einem rätselhaften Dia und den Erinnerungen an die Geschichten seines Vaters im Gepäck macht der junge Mann sich in den Libanon auf, das Geheimnis zu lüften. Seine Suche führt ihn durch ein noch immer gespaltenes Land, und schon bald scheint Samir nicht mehr nur den Spuren des Vaters zu folgen. Vielmehr ist es, als seien die Figuren aus dessen Geschichten real geworden. Sie bringen Samir einer Lösung näher, die seine kühnsten Vorstellungen übersteigt. Vor dem Hintergrund des dramatischen Schicksals des Nahen Ostens erzählt Pierre Jarawan eine phantasievolle, berührende und wendungsreiche Geschichte über die Suche nach den eigenen Wurzeln.

Pierre Jarawan wurde 1985 als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Amman, Jordanien, geboren, nachdem diese vor dem Bürgerkrieg geflohen waren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Seit 2009 zählt er zu den erfolgreichsten Bühnenpoeten im deutschsprachigen Raum. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. 'Am Ende bleiben die Zedern' ist sein Romandebüt, für das er 2015 das Literaturstipendium der Stadt München erhielt. Pierre Jarawan lebt in München. Mehr zum Autor unter pierrejarawan.de.

Autorentext

Pierre Jarawan wurde 1985 als Sohn eines libanesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Amman, Jordanien, geboren, nachdem diese vor dem Bürgerkrieg geflohen waren. Im Alter von drei Jahren kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Seit 2009 zählt er zu den erfolgreichsten Bühnenpoeten im deutschsprachigen Raum. 2012 wurde er Internationaler Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. "Am Ende bleiben die Zedern" ist sein Romandebüt, für das er 2015 das Literaturstipendium der Stadt München erhielt. Pierre Jarawan lebt in München. Mehr zum Autor unter pierrejarawan.de.



Leseprobe

1

1992.

Vater stand auf dem Dach. Oder besser: Er balancierte. Ich stand unten, beschirmte mein Gesicht mit der Hand und sah mit zusammengekniffenen Augen hinauf, wo er sich wie ein Seiltänzer dunkel vom Sommerhimmel abhob. Meine Schwester saß im Gras, wedelte mit einer Pusteblume und schaute zu, wie die kleinen Fallschirme Pirouetten schlugen. Die Beine hatte sie dabei so unnatürlich verrenkt, wie es nur Kleinkinder können.

»Nur noch ein bisschen«, rief unser Vater fröhlich herab und drehte an der Satellitenschüssel, während er breitbeinig das Gleichgewicht hielt. »Passt es jetzt?«

Im ersten Stock steckte Hakim den Kopf aus dem Fenster und rief: »Nein, jetzt sind Koreaner im Fernsehen.«

»Koreaner?«

»Ja, und Pingpong.«

»Pingpong. Und der Kommentar? Auch koreanisch?«

»Nein. Russisch. In deinem Fernseher spielen Koreaner Pingpong, und ein Russe kommentiert das.«

»Was sollen wir mit Pingpong?«, rief Vater.

»Ich glaube, du bist zu weit rechts.«

Mein Kopf war jetzt ebenfalls in einem Pingpongspiel gefangen. Ich verfolgte den Dialog der beiden und ließ meinen Blick immer wieder vom einen zum anderen schweifen. Vater zog einen Schraubenschlüssel aus der Hosentasche und lockerte die Befestigung. Dann holte er den Kompass hervor und drehte die Schüssel weiter nach links.

»Denk dran: 26,0° Ost«, rief Hakim, und sein grauer Kopf verschwand wieder im Wohnzimmer.

Bevor Vater aufs Dach gestiegen war, hatte er es mir genau erklärt. Wir standen auf dem schmalen Grasstreifen vor unserem Haus. Die Leiter lehnte bereits an der Wand. Sonnenstrahlen schimmerten durch die Kirschbaumkrone und erzeugten wundersame Schatten auf dem Asphalt.

»Im Weltraum kreisen Satelliten um die Erde«, sagte er, »mehr als zehntausend Satelliten. Sie zeigen uns, wie das Wetter wird, vermessen die Erde und andere Planeten und Sterne oder sorgen dafür, dass wir fernsehen können. Die meisten von ihnen bieten ziemlich schlechtes Fernsehen. Doch manche haben auch gutes im Angebot. Wir wollen den Satelliten mit dem besten Fernsehen, und der ist ungefähr dort.« Er sah auf den Kompass und drehte ihn so lange in der Hand, bis seine Nadel die 26°-Markierung auf der rechten Seite erreichte. Dann deutete er in den Himmel, und mein Blick folgte seinem Finger.

»Immer?«, wollte ich wissen.

»Immer«, sagte er, bückte sich, strich dabei meiner Schwester über den Kopf und hob zwei Kirschen auf, die im Gras lagen. Die eine aß er. Dann hielt er die andere vor unsere Gesichter und ließ den abgenagten Kern mit spitzen Fingern in einiger Entfernung darum kreisen. »Er dreht sich genauso schnell um die Erde, wie die Erde sich um sich selbst dreht.« Langsam zeichnete er mit dem Kern einen Halbkreis in den Himmel. »Dadurch ist er immer in der gleichen Position.«

Mir gefiel die Vorstellung von außerirdischem Fernsehen. Aber noch mehr gefiel mir die Idee, dass irgendwo dort oben ein Satellit seine Bahnen zog, immer an der gleichen Stelle, immer im gleichen Kreislauf, konstant und verlässlich. Vor allem jetzt, da auch wir unsere feste Position hier gefunden hatten.

»Passt es nun?«, rief Vater wieder vom Dach.

Mein Blick wanderte zum Wohnzimmerfenster, aus dem Hakim sogleich seinen Kopf schob.

»Nicht wirklich.«

»Pingpong?«

»Eishockey«, rief Hakim, »italienischer Kommentator. Ich glaube, du bist zu weit links.«

»Ich glaube, ich spinne«, antwortete Vater.

Inzwischen hatten sich mehrere Männer auf der Straße vor unserem Haus versammelt und reichten sich gegenseitig Pistazien. Auf den Balkonen gegenüber hatten die Frauen aufgehört, ihre Wäsche auf die Leinen zu hängen, und verfolgten das Schauspiel mit in die Hüften gestemmten Armen und amüsierten Mienen.

»Arabsat?«, fragte einer der Männer nach oben.

»Ja.«

»Sehr gutes Fernsehen«, rief ein anderer.

»Ich weiß«, kam es von V

Titel
Am Ende bleiben die Zedern
Untertitel
Roman
EAN
9783827078650
ISBN
978-3-8270-7865-0
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
01.03.2016
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
2.16 MB
Anzahl Seiten
448
Jahr
2016
Untertitel
Deutsch
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet