Radek Knapp, 1964 in Warschau geboren, lebt als freier Schriftsteller in Wien und in der Nähe von Warschau. Sein hintergründiger Roman 'Herrn Kukas Empfehlungen' gehört zu den erfolgreichsten Longsellern der Verlagsgeschichte. Nach seinem futuristischen Roman 'Reise nach Kalino' kehrt er mit diesem Buch zurück zu seiner verschmitzten kuk-Erzählweise.
Autorentext
Radek Knapp, 1964 in Warschau geboren, lebt als freier Schriftsteller in Wien und in der Nähe von Warschau. Sein hintergründiger Roman "Herrn Kukas Empfehlungen" gehört zu den erfolgreichsten Longsellern der Verlagsgeschichte. Nach seinem futuristischen Roman "Reise nach Kalino" kehrt er mit diesem Buch zurück zu seiner verschmitzten kuk-Erzählweise.
Leseprobe
4
Ich hielt mein Versprechen und zog mir das neue Hemd für die Verleihung an. Es war allerdings auch nicht so, dass ich große Alternativen gehabt hätte. Allerdings verschwieg ich meiner Mutter, dass ich mit dem Fahrrad zur Staatsbürgerschaftsverleihung fuhr. Sie hätte das für eine Art Blasphemie gehalten, aber es gab in der Verfassung nirgendwo einen Paragrafen, der es verbot, zu einer Staatsbürgerschaftsverleihung zu radeln. Ich wollte dadurch keineswegs die U-Bahn vermeiden. Ich mochte das Rad nicht einmal besonders, es war ein ziemlich unbequemes Verkehrsmittel, und noch weniger konnte ich mich für andere Radfahrer erwärmen. Aber das Rad war eine perfekte Abgrenzungsmaschine. Man suchte sich ein eigenes Tempo und war sofort vom übrigen Verkehr ausgeklammert. So wie ein X in einer Gleichung, dem die anderen Ziffern nichts anhaben konnten. Man war da und doch nicht da, genauso wie der Soldat Schwejk, der sich in einer Schlacht auf einem Baum versteckte und beide Armeen gleichzeitig anfeuerte.
Als ich an diesem Vormittag durch die Straßen Richtung Rathaus radelte, verbarg ich mich wieder in dieser Klammer und ließ den Blick schweifen. Da war ich schon so lange in der Plüschstadt und wusste noch immer nicht, was ich von ihr halten sollte. In der Zeitung stand, dass das eine der lebenswertesten Städte der Welt war. Und das stimmte auch, wenn man ein Tourist war oder ein Oligarch. Die ganze Welt glaubte, dass die Straßen Wiens voller Menschen waren, die tagsüber nur in Kaffeehäusern saßen, ihren Veltliner tranken und über das Wetter redeten. Und je mehr sie herumsaßen und übers Wetter redeten, desto besser sahen sie aus und desto mehr Geld hatten sie.
In Wahrheit aber war Wien ein stilles Wasser. Was hinter den schmucken Fassaden passierte, stand in keinem Reiseführer. Eigentlich war Wien ein großes Museum, in dem zwei Millionen Museumswärter auf engstem Raum lebten und fortwährend über den Tod redeten. Das Leben war in den Keller gewandert und fand unterirdisch statt. Die Zeitungen berichteten ständig von Leuten, die jahrelang ihre Wohnungen nicht verlassen wollten, sodass man sie schließlich sogar mit Gewalt ans Tageslicht holen musste.
Als ich zum Schottentor kam, erblickte ich einen weiteren Bewohner, über den man nicht in Zeitungen schrieb. Eine Ratte lief den Gehsteig hinunter und war nicht menschenscheu. Sie benahm sich, als wäre sie kurz aus ihrem Bau gesprungen, um ein paar Einkäufe zu erledigen. Zuerst kam sie zu einem Handygeschäft, für das sie kein Interesse zeigte, schaute dann bei der Buchhandlung vorbei und blieb erst vor dem Schaufenster eines Küchengeschäfts stehen. Sie schien sich für den gleichen Milchkocher zu interessieren, den ich letztes Jahr gekauft hatte. Es war schade, dass man keinen Tierfilm über Wiens Ratten gemacht hatte. Sie waren aber nun mal nicht so graziös und elegant wie Antilopen.
Kurz bevor ich zum Rathaus kam, erblickte ich noch eine Wiener Eigenheit, die in keinem Reiseführer stand, aber doch an der Tagesordnung war. Ein unsympathischer Bettler redete auf eine elegante ältere Frau ein, die aussah, als wollte sie jeden Moment die Polizei rufen. Nach kurzer Überlegung griff sie in ihre Tasche und holte zur Verblüffung aller einen großen Geldschein heraus. Man darf hier die Leute nie nach ihrem Äußeren beurteilen. Die Wiener sind erstklassige Schauspieler, und man weiß nie so recht, was in ihnen vorgeht.
Als ich wenig später vor dem Rathaus ankam, kettete ich mein Rad neben einem Baum an und marschierte zum Eingang. Dort saß hinter Glas ein Beamter in einer grauen Uniform. Er hatte mächtige Vorderzähne wie ein Feldhase, die sozusagen ständig an der frischen Luft waren, weil seine Oberlippe zu klein geraten war. Er fragte mich nach meinem »Ansinnen«. Er sagte tatsächlich: »Was ist Ihr Ansinnen?«, und ich fand ihn gleich sympathisch. Wenn jemand Wörter verwendet, die vom Aussterben bedroht sind, dann m