Rebecca Niazi-Shahabi stammt aus einer deutsch-israelisch-iranischen Familie und lebt in Berlin. Ihre Bestseller 'Nett ist die kleine Schwester von Scheiße', 'Ich bleib so scheiße wie ich bin' und 'Scheiß auf die anderen' befanden sich wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Autorentext
Rebecca Niazi-Shahabi stammt aus einer deutsch-israelisch-iranischen Familie und lebt in Berlin. Ihre Bestseller "Nett ist die kleine Schwester von Scheiße", "Ich bleib so scheiße wie ich bin" und "Scheiß auf die anderen" befanden sich wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Leseprobe
Manchmal wünschte ich mir, es käme jemand und würde mich unterdrücken. Ein Mensch oder eine Gesellschaft, die mir verbieten würden, zu lernen, zu studieren, die Haare kurz oder lang zu tragen, Liebschaften zu haben oder Auto zu fahren. Ich würde mich gern fühlen wie eine Frau, die ihre Meinung für sich behalten muss, oder wie ein Mann, der Berufsverbot erhält; ich will wissen, wie es ist, wenn es verboten ist, Bücher zu lesen oder den Menschen zu heiraten, den man liebt. Kurzum: Ich stelle mir manchmal vor, wie es wäre, wenn die Menschen um mich herum mir verbieten würden, so zu leben, wie es mir entspricht.
Die einzige Freude in dem mir aufgezwungenen Leben wären die Treffen mit Leidensgenossen, die so wie ich an der Selbstentfaltung gehindert werden. Bei ihnen fühle ich mich zu Hause. Gemeinsam entwickeln wir Strategien, wie sich die Repressionen umgehen lassen. Mit viel Witz und Kreativität trotzen wir unseren Unterdrückern die wenigen köstlichen Freiheiten ab. Die heimliche Autofahrt, das auf dem Dachboden gelesene Buch, der Besuch eines illegalen Konzerts mit gesellschaftskritischen Songs - in solchen Stunden fühlen wir uns verwegen und lebendig.
Nach diesen erhebenden Momenten der Freiheit kehren wir gestärkt in unser normales Leben zurück. In ein Leben, mit dem wir unzufrieden sind, weil es nicht das selbst gewählte ist. Diese Unzufriedenheit, die in uns brodelt und kocht, ist das wertvollste Gefühl, das wir haben, denn es zeigt uns genau, wo die Rolle, die andere für uns vorgesehen haben, einfach nicht passt.
Unsere Helden sind die, die es geschafft haben, die, die sich nichts mehr verbieten lassen. Sie fahren als erste Frau in einem roten Jaguar durch die Stadt, sie studieren als erster Schwarzer an einer Eliteuniversität. Sie lehnen es ab, die Frau oder den Mann zu heiraten, die oder den ihre Familie für sie vorgesehen hat. Sie ziehen weg von den Eltern, sie leben mit ihrem Liebhaber oder ihrer Geliebten zusammen. Sie verlassen das Land und verdienen ihr eigenes Geld, sie rauchen auf der Straße, sagen, was sie denken, ziehen Hosen an und schlafen, mit wem sie wollen, und essen sogar Schweinefleisch.
Diese besonderen Menschen haben sich getraut, gegen den Willen der Familie ihren Traumberuf zu ergreifen. Sie haben sich von überkommenen Traditionen befreit und animieren diejenigen, die noch in ihnen gefangen sind, es ihnen gleichzutun. Dass sie von den Verteidigern der alten Ordnung abgelehnt werden, kann ihnen nichts mehr anhaben, im Gegenteil: Jede Ablehnung macht sie nur noch stärker, denn der Widerstand der anderen zeigt ihnen, dass sie auf dem richtigen Weg sind.
Alles, was sie tun, erregt Aufmerksamkeit. Ihr Handeln wird durch ihren Widerstand geadelt. Wenn sie Romane lesen, dann faulenzen sie nicht, sondern stillen ihren Hunger nach Bildung. Das selbst verdiente Geld ist ein Symbol für ihre Unabhängigkeit und kein Zeichen ihrer Gier. Ihre rasante Autofahrt durch die Stadt ist Rebellion und keine Umweltverschmutzung. Ihre vielen Liebschaften sind nicht Ausdruck ihrer Beziehungsunfähigkeit, sondern ihrer Lebenslust. Sie sind eben Vorreiter und keine Egoisten, und der Kampf um ihre eigene Freiheit ist ein Kampf für die Freiheit aller Unterdrückten dieser Welt.
Die Freiheit dagegen ist fad und kompliziert noch obendrein. Wie soll ich wissen, was ich wirklich will, wenn mir nichts verboten wird? Womit kann ich noch Aufmerksamkeit erregen, wenn alles erlaubt ist? So fiel der Musiker Rex Joswig, Gründer und Sänger der Underground-Band »Herbst in Peking«, aus der ehemaligen DDR nach dem Mauerfall in ein Loch. In den siebziger und achtziger Jahren war er berühmt, seine Konzerte immer gut besucht. Legendär war der Ausspruch, mit dem er jeden Auftritt seiner Band eröffnete: »Heute ist der Tag, an dem das System zusammenbricht. Feiern wir diesen Tag!«
Als die Mauer fiel, war das alles vorbei.
In einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazi
Inhalt
Vorwort 1 Schluss mit dem schlechten Gewissen ! Wenn Freiheit zum Terror wird 2 Gut ist mir nicht gut genug ! Von der Last, das Richtige tun zu wollen 3 Und was, wenn Geld doch glücklich macht ? Auf der Suche nach einer verlorenen Utopie 4 Der Rest findet sich Selbstverwirklichung als magische Praxis 5 Ein Leben in Fülle - was soll das sein ? Der neue Kult um eine Fata Morgana 6 Be yourself - be unhappy ! Warum authentisch sein keinen Spaß macht 7 Stell dir vor, du findest dich selbst, und keinen interessiert's Der harte Kampf um Aufmerksamkeit 8 Plädoyer für ein neues altes Ideal Wie man wirklich etwas Bedeutsames tut 9 Scheiß auf die anderen ! Argumente gegen das vollkommene Leben