Roland Jahn war Mitbegründer der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena. Er protestierte gegen fehlende Meinungsfreiheit und die zunehmende Militarisierung in der DDR. Nach seiner Kritik an der Ausbürgerung Wolf Biermanns wurde er 1977 vom Studium der Wirtschaftswissenschaften exmatrikuliert. 1983 wurde er von der Stasi gegen seinen Willen aus der DDR geworfen. Von West-Berlin aus hielt er Kontakt zur DDR-Opposition und baute ein Informationsnetzwerk zwischen Ost und West auf. Für die ZDF-Redaktion 'Kennzeichen D' und das ARD-Magazin 'Kontraste' berichtete er über Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in der DDR. Nach dem Fall der Mauer wurden die Folgen der SED-Diktatur eines seiner zentralen Themen als ARD-Redakteur. Im Januar 2011 wurde er vom Deutschen Bundestag zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gewählt. Am 14.März 2011 trat er sein Amt an.
Vorwort
»Mitmachen oder verweigern? Es war eine stete Zerreißprobe.«Roland Jahn
Autorentext
Roland Jahn war Mitbegründer der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena. Er protestierte gegen fehlende Meinungsfreiheit und die zunehmende Militarisierung in der DDR. Nach seiner Kritik an der Ausbürgerung Wolf Biermanns wurde er 1977 vom Studium der Wirtschaftswissenschaften exmatrikuliert. 1983 wurde er von der Stasi gegen seinen Willen aus der DDR geworfen. Von West-Berlin aus hielt er Kontakt zur DDR-Opposition und baute ein Informationsnetzwerk zwischen Ost und West auf. Für die ZDF-Redaktion "Kennzeichen D" und das ARD-Magazin "Kontraste" berichtete er über Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in der DDR. Nach dem Fall der Mauer wurden die Folgen der SED-Diktatur eines seiner zentralen Themen als ARD-Redakteur. Im Januar 2011 wurde er vom Deutschen Bundestag zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gewählt. Am 14.März 2011 trat er sein Amt an.
Leseprobe
Nachdenken
Zwischen Anpassung und Widerspruch
Wir Angepassten. Um den Titel dieses Buches haben wir eine Weile gerungen. Er sollte niemanden vor den Kopf stoßen und doch provozieren. Aber es ist klar: Das Wort Anpassung ist sperrig. Es ruft Abwehr hervor. Als ich mit meinem Freund Peter Rösch für dieses Buch über unser Leben in der DDR gesprochen habe, darüber, dass wir uns doch auch in bestimmte Abläufe eingetaktet, uns also angepasst haben, da hat er mir spontan widersprochen. »Ich habe mich nicht angepasst.« Niemand will ein Anpasser sein. Und doch haben wir es alle getan. Und tun es noch. Damals und heute.
Sich den Umständen anzupassen, das gilt in Natur und Technik als klug. Es kann eine Überlebensstrategie sein. Anpassung als Prinzip, das hat der Menschheit das Überleben gesichert. Und doch empfinden wir es meist nicht als positiv, wenn sich jemand anpasst. Die »Unangepassten«, sie finden heute gerade im Rückblick auf die DDR schneller Zuspruch.
Als ich neulich zum Thema »Warum ich nicht zum Mitläufer wurde« sprechen sollte, habe ich gezögert. Es wäre die Erzählweise geworden, die man gern hört, die Mut machen soll. Es wäre eine klare Rollenzuweisung gewesen: Ein politisch Verfolgter erzählt von seinem Widerspruch gegen das System und den Folgen. Aber interessanter erschien es mir, auch die Momente zu reflektieren, in denen ich mich angepasst habe. Ich habe den Vortrag einfach umbenannt in »Zwischen Anpassung und Widerspruch«. Das Leben in der DDR, in einem Land mit Mauer und Stacheldraht, unter einer Ein-Parteien-Herrschaft und ohne den umfassenden Zugang zu Menschenrechten, es war komplizierter, als die gängigen Kategorien es den Menschen zugestehen. Die Schubladen Täter/Opfer/Mitläufer beschreiben nicht wirklich, wie Menschen in der DDR gelebt haben. Und so habe ich in meiner Rede darüber gesprochen, wie ich mich angepasst habe an die Vorgaben des Staates und dann zwischen Anpassung und Widerspruch meinen Weg gesucht habe.
»Anpassung« ist die Haltung, die für mich den Alltag unter den Bedingungen einer Diktatur stark geprägt hat. Genau darüber haben wir noch viel zu wenig gesprochen und es noch viel zu wenig analysiert. Es ist ein vielschichtiges Verhalten, stetig gefangen in einer Dynamik zwischen der Abwägung der Kosten oder dem Nutzen des Anpassens und der Kosten oder dem Nutzen des Widersprechens.
Diese Prozesse habe ich auch in meinem eigenen Leben in der DDR gespürt, immer wieder. Auch ich habe mich eine Zeit lang in den vorgezeichneten Bahnen des SED-Staates bewegt und stetig die Kosten und Nutzen meines Verhaltens abwägen müssen. Wenn man also über den Alltag in der DDR reflektiert, so sollte man den Aspekt der Anpassung und der Mechanismen, die an uns als Menschen gewirkt haben, viel stärker beleuchten. Niemand war nur Rebell oder nur Angepasster. Wir brauchen einen Prozess des offenen Nachdenkens über das Leben in diesem Staat DDR, in dem wir unseren Alltag gelebt haben.
Wir sind in der DDR aufgewachsen, zur Schule gegangen, haben Berufe gelernt, Familien gegründet, Geburtstage und Weihnachten gefeiert. Wir haben gelebt. Gute Erinnerungen geschaffen und schlechte. Woran erinnert man sich? In der Regel doch wohl zuerst an das eigene Leben, an das Private. Vielleicht auch daran, wie dieses Leben mit den großen politischen und kulturellen Ereignissen kollidierte und von ihnen eingerahmt wurde. Aber der Staat DDR, der von einer Partei, der SED, bestimmt wurde, hat den Menschen, die in ihm lebten, viel zugemutet. Er hat sich immer wie
Inhalt
Vorwort
Erzählen als Chance
Nachdenken
Zwischen Anpassung und Widerspruch
Entscheiden
Weichen stellen für das Leben
Eintakten
Fröhlich sein und singen
Schweigen
Die Sorge, erkannt zu werden
Gewöhnen
Was bleibt uns anderes übrig?
Mitlaufen
Es lebe der 1. Mai!
Unterordnen
Es war doch Pflicht
Mitmachen
Anerkennung für die geleistete Arbeit
Angst überwinden
Die Folgen außer Acht lassen
Widersprechen
Der Preis des Handelns
Erinnern
Bekenntnis zur Biografie
Ein Dank
Anhang
Literatur
Personen
Anmerkungen