Rüdiger Barth, Jahrgang 1972, im Schwarzwald aufgewachsen, lebt mit seiner Familie in Hamburg. Er ist Mitglied der Chefredaktion des stern und veröffentlichte bei Malik 'Die 10 - Magier des Fußballs', 'Wilde Dichter' und zuletzt 'Ein Mann, ein Boot'.
Autorentext
Rüdiger Barth, Jahrgang 1972, im Schwarzwald aufgewachsen, lebt mit seiner Familie in Hamburg. Er ist Mitglied der Chefredaktion des stern und veröffentlichte bei Malik "Die 10 - Magier des Fußballs", "Wilde Dichter" und zuletzt "Ein Mann, ein Boot".
Leseprobe
Gelbes Meer. Korea. Februar 1904
Der Sturm schleudert Eiskristalle ins Gesicht, seit Tagen schon, die Gischt gefriert in der Luft, so lausig kalt ist es. Durch den frostigen Wind hangelt sich die Dschunke, dieser jämmerlich wackelige Sampan, die koreanische Westküste empor. Es ist eine wilde Küste, die See mit gewaltigem Tidenhub, kein Leuchtturm weit und breit. Nicht mal unterhalten kann sich Jack London. Außer ihm, dem Amerikaner, sind drei Einheimische an Bord, dazu fünf Japaner, von denen vier sehr bald zu Tode geängstigt sind, und einer ist seekrank. Tagelang gibt es Reis und rohen Fisch, geschlafen wird unter Reismatten. Mit lädiertem Ruder schleppt sich das Boot auf halber Strecke in den Hafen von Kunsan, der Mast ist gebrochen.
Noch sind es ein paar hundert Meilen nach Norden, da brechen demnächst die Kämpfe zwischen Rußland und Japan aus, in der Mandschurei, das heißt, da sollen sie angeblich ausbrechen, gesehen hat London vom Aufmarsch der Truppen noch nichts. Achtundzwanzig Jahre alt, hat der gefeierte Autor von Ruf der Wildnis bereits am Yukon River nach Gold gegraben, im Pazifik Robben gejagt, in der San Francisco Bay Austernbänke geplündert, bei Prügeleien acht Zähne verloren, in Elendsvierteln gehaust, ist kreuz und quer durch die Staaten getrampt. Was ihm fehlt, ist ein ausgewachsener Krieg.
Nach der Ankunft in Japan war London wie die anderen westlichen Reporter, es sind die Besten ihrer Zunft, von den Behörden festgehalten worden, und als er das Saufen, Spielen und Warten nicht mehr aushielt, nach ganzen drei Tagen, schlug er sich in den Süden durch, nach Moji, nicht weit von Nagasaki. Dort buchte er die Überfahrt nach Korea, wanderte umher, fotografierte ein bißchen, das übliche Reporterblut - und wurde als Spion des Zaren verhaftet. Acht Stunden Verhör, und dann ab in den Knast. Zu seinem Glück griff ein amerikanischer Gesandter ein, London mußte fünf Yen bezahlen und bangte um seine Kamera, war aber wieder auf freiem Fuß.
So begann Londons Feldzug in Fernost, und zu seinem Glück weiß er nicht: Danach wird es nur noch schlimmer.
In Kunsan wechselt er Boot und Mannschaft und kommt nach acht Tagen Frostfahrt übers Gelbe Meer endlich in Chemulpo an, der Hafenstadt nahe Seoul. Dort trifft er seinen Landsmann Robert Dunn, der sich ebenfalls auf eigene Faust, allerdings weit bequemer, hierher durchgeschlagen hat. »Jack war ein physisches Wrack«, erinnerte sich Dunn später, »seine Ohren waren erfroren, seine Finger waren erfroren, seine Füße waren erfroren. Er sagte nur, sein Zustand sei ihm egal, solang er zur Front gelange.«
Über schneebedeckte Reisfelder, durch ein Land voller Schluchten, reiten sie gen Pyöngyang und weiter, immer nach Norden. Sie streifen hungrig durch Dörfer, durch die bereits russische und japanische Soldaten plündernd gezogen sind, »wir geben ihrer Furcht den Feinschliff«, schreibt London nach Hause. In einem Weiler stöbern sie »zwei tödliche Stunden lang« nach Eßbarem, schließlich finden sie tütenweise Gerste, versteckt in einer Männerhose. Krieg ist ein dreckiges Geschäft, begreift London. Aber am meisten haßt er, daß man ihn nicht dahin ziehen läßt, wo nun tatsächlich das große Sterben stattfindet.
Er ist neugierig auf den Tod. Und nach strapaziösen Wochen nur noch einen halben Tagesritt entfernt von der Front. Jack beobachtet die Bewegungen der japanischen Armee und schickt Artikel und Fotos nach Hause, ohne zu wissen, ob sie den »San Francisco Examiner« und die anderen Redaktionen des Hearst-Konzerns, seines Auftraggebers, wirklich erreichen. Tatsächlich füllen seine Geschichten bald überall in den USA die Titelseiten - worauf sich die feinen Kollegen prompt bei der japanischen Armee beschweren, warum diesen beiden Berichterstattern ein solch exklusiver Zugang gewährt werde. Wieder wird London von Soldaten einkassiert und muß wie Dunn kur