Sarah Dunant, 1950 in London geboren, studierte Geschichtswissenschaft. Die Journalistin, Radiomoderatorin und Kolumnistin veröffentlichte bereits mehrere Romane. Sie hat zwei Kinder und lebt in London und Florenz.
Autorentext
Sarah Dunant, 1950 in London geboren, studierte Geschichtswissenschaft. Die Journalistin, Radiomoderatorin und Kolumnistin veröffentlichte bereits mehrere Romane. Sie hat zwei Kinder und lebt in London und Florenz.
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ERSTES KAPITEL
11. August 1492
Die Dämmerung färbt den Nachthimmel blassblau, als im Palast ein Fenster aufgeht und ein Gesicht erscheint, die Züge verzerrt vom Feuerschein der Fackeln an der Wand. Die Soldaten auf der Piazza schlafen. Aber sie fahren auf, als vom Fenster der Ruf erschallt:
»HABEMUS PAPAM!«
Die Luft im Gebäude ist abgestanden, es riecht nach dem sauren Schweiß von alten Leibern. Der August ist drückend heiß in Rom, ein Monat hoher Sterblichkeit. Seit fünf Tagen sind dreiundzwanzig Männer in der großen Kapelle des Vatikanpalasts eingesperrt, allesamt mächtige, reiche Herren, die es gewöhnt sind, von silbernen Tellern zu essen und jederzeit über ein Dutzend Diener zu verfügen. Und nun müssen sie sich mit einem einzigen Kammerdiener begnügen, müssen ohne Schreiber und Sekretäre auskommen und ohne Köche, die Speisen für große Bankette zubereiten, müssen vorliebnehmen mit einfachen Mahlzeiten, die durch eine hölzerne Klappe gereicht werden. Tageslicht fällt durch schmale Fenster hoch oben an den Wänden ein, bei Nacht flackern zahlreiche Kerzen unter dem gemalten Sternenhimmel des Deckengewölbes, der so weit wie das Firmament erscheint. Ständig sind sie in Gesellschaft der anderen, außer wenn sie bei den Wahlgängen die Stimmzettel ausfüllen oder in der Latrine, und selbst dort haben sie oft genug keine Ruhe und müssen, während sie tröpfelnd ihr Wasser rinnen lassen, noch Verhandlungen führen. Wenn sie schließlich zu müde zum Reden sind oder Zwiesprache mit Gott halten wollen, können sie sich in ihre Zellen zurückziehen, eilig gezimmerte Abteile, die an den Seiten der Kapelle aufgestellt wurden und, karg möbliert mit einem Stuhl, einem Tisch und einer Pritsche zum Schlafen, ohne Zweifel daran erinnern sollen, dass der Weg zur Heiligkeit mit Entbehrungen und Kasteiungen gepflastert ist.
Heilige sind freilich rar in diesen Zeiten, erst recht im römischen Konklave.
Die Türen wurden am Morgen des 6. August verriegelt. Zehn Tage zuvor hatte Papst Innozenz VIII. nach jahrelangem Siechtum endgültig die Kraft verlassen, sich noch weiter ans Leben zu klammern. In ihren Gemächern im Vatikanpalast hatten sein Sohn und seine Tochter geduldig darauf gewartet, an sein Sterbebett gerufen zu werden, aber er war umgeben von streitenden Kardinälen und Ärzten gestorben. Sein Körper war noch warm, als die Nachricht von seinem Tod sich wie Kloakendünste in der Stadt ausbreitete. Die Meute der Gesandten fremder Höfe und Diplomaten sogen sie begierig ein und schickten dann Kuriere aus, die ihre je eigenen Versionen der Geschichte in die Welt hinaustrugen: Dass der Leichnam Seiner Heiligkeit ganz verschrumpelt war, obwohl man dem Patienten vorher noch auf den Rat seines jüdischen Leibarztes hin Blut von römischen Straßenjungen eingeflößt hatte; dass die blutleeren Körper jener Knaben nun als Fischfutter im Tiber schwammen, während der Jude aus der Stadt geflohen war; dass der Günstling des Papstes, der cholerische Kardinal della Rovere, und der Vizekanzler Kardinal Rodrigo Borgia im Sterbezimmer so damit beschäftigt waren, einander anzugiften, dass es keiner bemerkte, als der Heilige Vater zu atmen aufgehört hatte. Der erbitterte Krieg zwischen den beiden dauert schon seit Jahren an wahrscheinlich ist Innozenz gestorben, um endlich Ruhe vor ihnen zu haben.
Natürlich muss jeder selbst entscheiden, was von all dem Klatsch er glauben will, und je nach persönlichem Geschmack mögen die Herrscher nun einmal die Nachrichten,