Zwei Männer sitzen in einem Zug, Vincent und Paul, introvertiert, verträumt der eine, nach Nähe suchend; zynisch, scheinbar ein Siegertyp der andere. Sie fahren einem Wiedersehen entgegen, einer Wiederbegegnung mit Lotte und Martin, mit denen sie zwanzig Jahre zuvor einen dramatischen Kletterurlaub auf den Lofoten verbrachten. Ein Ereignis dort, nördlich des Polarkreises hat ihr Leben für immer geprägt. Doch die Sicht auf die Vergangenheit ändert sich nun, in Erwartung des Treffens, unerwartet für jeden einzelnen von ihnen. 'Im Griff' handelt von Freundschaft, von Liebe, von Zusammenhalt und Vergänglichkeit. Von der Frage, ob man das Leben führt, das man sich vorgestellt hat. Ob die Entscheidungen, die man getroffen hat, auch wirklich die eigenen waren. Ein Roman im Rhythmus einer Zugreise, meisterhaft komponiert, eine Erzählung, die man mit angehaltenem Atem liest.

Stephan Enter, geboren 1968, gilt als eine der wichtigsten Stimmen der neuen niederländischen Literatur. Nach 'Spiel' ist 'Im Griff' sein zweiter Roman auf Deutsch, mit dem ihm in den Niederlanden der große Durchbruch gelang und der von der Kritik als 'herausragend' (De Pers), als 'literarischer Mount Everest' (NRC Handelsblad) gefeiert wurde.

Autorentext
Stephan Enter, geboren 1968, gilt als eine der wichtigsten Stimmen der neuen niederländischen Literatur. Nach "Spiel" ist "Im Griff" sein zweiter Roman auf Deutsch, mit dem ihm in den Niederlanden der große Durchbruch gelang und der von der Kritik als "herausragend" (De Pers), als "literarischer Mount Everest" (NRC Handelsblad) gefeiert wurde.

Leseprobe
1 Da war er ja. Paul van Woerden stand mit offener Brieftasche an der Theke, blickte zufällig an der Verkäuferin vorbei und sah ihn draußen vorbeigehen. Ja, das war er, Irrtum ausgeschlossen: Vincent Voogd, der behendeste aller Bergsteiger, auch nach zwanzig Jahren auf Anhieb wiederzuerkennen. Dieselbe mürrische Miene, dieselben ausgefransten Koteletten. Er trug ein modisches Fischgratsakko, zog einen kleinen Rollkoffer wie ein widerspenstiges Hündchen hinter sich her und hielt eine Zeitung in Augenhöhe. Er war so sehr in seine Lektüre vertieft, dass er jemanden anrempelte, der sich, wie hätte es anders sein können, bei ihm entschuldigte - anstatt andersherum. Die Verkäuferin wickelte Silberpapier um Pauls Anschaffung, schnürte noch ein glänzendes Band darum. Paul bedankte sich mit einem Lächeln, das sie aber nur mit einem kirschroten Strich ihres Mundes quittierte. Er nahm seinen Rucksack, warf ihn sich über die Schulter und betrat die Bahnhofshalle. Er konnte Vincent nicht gleich entdecken; in Bruxelles- Midi herrschte auf einmal doppelt so viel Betrieb wie noch vor ein paar Minuten. Alles war in Bewegung, ein Dutzend Sprachen schwirrten durch den Raum, eine Horde Schüler umlagerte einen Stand mit verführerisch duftenden Waffeln. Etwas weiter, in der niedrigen Halle, in die er gleich hineinmusste, bildete sich bereits eine Schlange vor dem Abfertigungsschalter - dort stand Vincent aber noch nicht. Paul ging zu einer freien Stelle neben einem Kiosk und stellte den Rucksack ab. Das eigelb-eiweißfarbene Eurostar-Logo leuchtete dezent, an der Längsseite des unterirdischen Bahnhofs glitzerten Delikatessenläden, eine Wein- und Spirituosenhandlung, eine Kaffeebar, eine Parfümerie und verschiedene andere kleine Läden, und er hatte ganz kurz die Vision einer verzauberten Grotte voller erwartungsfroher Gesichter - alle Reisenden ließen ihr Hab und Gut zurück und machten sich bereit für die Fahrt ins Innere der Erde. Achtung, Taschendiebe, schallte es durch die Halle. Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt, s'il vous plaît. Paul trommelte mit den Fingern auf dem Geschenk herum. Tief sog er die Luft ein (herrlich, diese Waffeln!), reckte sich, um über die Köpfe hinwegzusehen, und wurde sich mit einemmal seiner Hochstimmung bewusst, eines Glücksgefühls, das in ihm aufstieg. Er musste über sich selbst lachen - so wenig veränderte man sich im Grunde also! Ein flüchtiger Blick, ein Widerhaken der Erinnerung, und schon war er wieder in Vincents Bann. Aber sie alle hatten sich damals von Vincent betören lassen - von seinem Schneid und der eigentümlichen Leichtigkeit, mit der er alles relativierte, inklusive sich selbst; denn Vincent wusste sehr genau, dass er ein schamloser Ehrgeizling war, der gern demonstrierte, wer am geschicktesten kletterte, am besten Karten las und am schnellsten ein Zelt aufbaute. Einmal, an einem stahlglatten Stausee im Wallis, vertrödelten sie eine halbe Stunde, weil Martin einen Kiesel neun Mal über das Wasser hatte hüpfen lassen und Vincent erst weiter wollte, wenn er selbst es zehn Mal geschafft hätte; er merkte gar nicht, dass die ganze Gruppe sich ein wenig lustig über ihn machte. Hinterher fragte man sich, warum keiner sich geärgert hatte - aber dazu musste man Vincent kennen, musste seine entwaffnende Jovialität erlebt haben. Paul wurde es warm, er zog die Regenjacke aus, legte sie über den Rucksack. Und, dachte er mit einer Mischung aus Selbstironie und Verlegenheit, und sah sich wieder am See stehen (neunzehn oder zwanzig war er, spindeldürr, Nase und Nacken verbrannt und das Haar sonnengebleicht) - wie sehnlich hatte er sich gewünscht, auch so zu sein, Vincents gusseiserne Mentalität zu besitzen, die Fähigkeit, alles Zaudern wie eine Schlangenhaut abzustreifen und durch funkelnden Übermut zu ersetzen. Ach, wie idiotisch kam er sich vor, wenn er daran dachte, wie er als Student gewesen war! Obwohl er jetzt erkannte, dass es dazugeh
Titel
Im Griff
Untertitel
Roman
Übersetzer
EAN
9783827075666
ISBN
978-3-8270-7566-6
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
12.03.2013
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
0.95 MB
Anzahl Seiten
240
Jahr
2013
Untertitel
Deutsch
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet