Thomas B. Morgenstern, geboren 1952, bewirtschaftet mit seiner Familie einen biologisch-dynamischen Bauernhof in der Elbmarsch bei Stade. Der Diplom-Biologe, der auch Germanistik und Theaterwissenschaften studierte, hat mehrere Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Bereits sein erster Roman 'Der Milchkontrolleur' war ein großer Überraschungserfolg, dem weitere vielbeachtete Kriminalromane folgten.
Autorentext
Thomas B. Morgenstern, geboren 1952, bewirtschaftet mit seiner Familie einen biologisch-dynamischen Bauernhof in der Elbmarsch bei Stade. Der Diplom-Biologe, der auch Germanistik und Theaterwissenschaften studierte, hat mehrere Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Bereits sein erster Roman "Der Milchkontrolleur" war ein großer Überraschungserfolg, dem weitere vielbeachtete Kriminalromane folgten.
Leseprobe
1
Wollen wir?", fragte Zannmann müde. Seine Zigarette sprang dabei zwischen den Lippen auf und ab. Hans-Georg Allmers nickte und öffnete die Heckklappe des großen Viehanhängers. Er quetschte sich neben dem angebundenen Tier und der Wand nach vorne und löste den Strick. Es war eine Färse, ein junges weibliches Rind, das nicht tragend geworden war und deshalb geschlachtet werden sollte. Gemeinsam mit seiner Mutter hatte er das Tier am frühen Morgen von der Weide geholt und mit dem Trecker und Viehanhänger zu Schlachter Zannmann gefahren.
"Ich treibe es rückwärts", rief er dem wartenden Zannmann zu, der das Tier mit handwerklichem Blick abschätzte.
Das aufgeregte Rind, das seit ein paar Stunden auf dem Hänger stand, schüttelte unruhig den Kopf, machte eine heftige Bewegung und riss mit einem Ruck den Strick, mit dem es festgebunden war, los. Vor dem verdutzten Allmers sprang es aus dem Viehanhänger auf den Hof.
"Ruhig, ganz ruhig", versuchte der Schlachter das Tier mit sanfter, leiser Stimme zu beruhigen. Er bückte sich vorsichtig und bekam den Strick zu fassen, der vom Halfter des Tieres auf den Boden hing. Er machte einen behutsamen Schritt nach vorne, um den Strick durch den Eisenring, der an der Wand eingelassen war, zu ziehen. Hans-Georg Allmers kletterte vorsichtig aus dem Anhänger, um Zannmann zu Hilfe zu kommen.
Plötzlich drehte sich das Rind um und ging auf ihn los. Er konnte dem Tier gerade noch ausweichen. Zwischen seinem Kopf und den Hornspitzen war so wenig Platz, dass er den Luftzug im Gesicht spüren konnte, den der vorbeizischende Rinderschädel verursachte.
Verzweifelt versuchte der Schlachter, den Kopf des wütenden Tieres mit dem Strick nach unten zu ziehen, aber gegen die Kraft des wütend gewordenen Rindes hatte er keine Chance. Der Halfterstrick wurde ihm aus den Händen gerissen, als das Rind losgaloppierte. Zannmann sprang zur Seite, ließ das Tier an sich vorbei und sah mit Entsetzen, wie es zum Sprung über den Zaun ansetzte. Es rutschte aus, und als der Zaun unter ihm zerbarst, richtete es sich panisch auf und rannte ins Dorf. Zannmann und Allmers versuchten ihm den Weg abzuschneiden, aber der herabbaumelnde Strick an der Seite, auf den das Tier immer wieder trat, ließ es so konfus werden, dass sich die beiden mehr als einmal mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit bringen mussten. Schließlich wurde der Abstand zu dem Rind immer größer, und plötzlich war es wie vom Erdboden verschluckt. Allmers und Zannmann trennten sich und machten sich auf die Suche nach der Ausbrecherin.
Am Deich traf Allmers den nach Luft schnappenden Zannmann.
"Wo ist sie?", fragte Allmers.
"Keine Ahnung", erwiderte der Schlachter und drehte sich erschöpft eine Zigarette. "Im Dorf ist sie jedenfalls nicht."
"Die ist wieder ins Dorf zurück, Charly", sagte ein Radfahrer, der die beiden gesehen hatte.
"Unmöglich", schüttelte Zannmann den Kopf. "Da komme ich gerade her."
Am Anleger der Fähre fanden sie schließlich das Tier wieder. Es schwamm durch den Fluss und war gerade in der Mitte angekommen. Der Fluss war an dieser Stelle breit und flach, aber die Strömung war stark. Als das Tier am anderen Ufer aus dem Wasser stieg, machte es einen sehr erschöpften Eindruck. Es stand mit zitternden Beinen an der Böschung und drehte sich misstrauisch um. Zannmann und Allmers sahen sprachlos über das Wasser. Erst als das Tier zu brüllen begann, fanden die beiden Zuschauer ihre Fassung wieder.
"Da müssen wir hin", sagte Zannmann bestimmt und warf seinen Zigarettenstummel ins Wasser. "Ich nehme das Auto und du den Schlepper mit dem Viehanhänger."
Es dauerte eine ganze Weile, bis Allmers und der Schlachter zum Schlachthaus zurückgelaufen waren. Die Schlachterei lag am anderen Ende des verwinkelt gebauten Dorfes. Die Hauptstraße verlief in mehreren engen Windungen zwischen den niedrigen Fachwerkhäusern, aber Allmers hatte keine