Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm 'Die gefährliche Frau', 'Singvogel', der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman 'Eine kurze Geschichte vom Glück' und zuletzt 'Das innere Ausland'.
Autorentext
Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm "Die gefährliche Frau", "Singvogel", der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman "Eine kurze Geschichte vom Glück" und zuletzt "Das innere Ausland".
Leseprobe
1
Der Hund des Engländers verbellte auch vorüberziehende Wolken oder Grasbüschel, die der Wind über die Straße trieb. Und er war immer da, auch wenn sein Herrchen mit dem kleinen gelben Nissan zum Einkaufen fuhr - der Hund versorgte die spärlich verstreute Nachbarschaft mit immer wieder Fehlalarm.
Ich brauchte keine Klingel. Mir genügte ein Blick durchs Küchenfenster in entsprechendem Zeitabstand zum Gebell, um zu sehen, ob jemand vor der Tür stand. Das kam nur selten vor. Mal die Postbotin, mal der Getränkelieferdienst und einmal in der Woche Aurélie, die Haushälterin, die sich um alles kümmerte, wozu ich mich nicht aufraffen mochte.
Auch diesmal war es nur der ramponierte Mahindra-Pick-up mit dem Verwalter des benachbarten Weinguts, dessen Felder bis fast nach Cadenet hinüberreichen. Hätte es nicht in der Nacht geregnet, wäre seine Staubfahne Hunderte von Metern weit zu sehen gewesen und erst nach Minuten wieder zu Boden gesunken.
Es war Ende Oktober, die Weinlese noch nicht vorüber, die Olivenernte noch nicht begonnen, und der Hund hatte viel zu tun, weil in dieser Zeit Trupps von Saisonarbeitern die Ruhe stören, die hier das restliche Jahr über herrscht. Ein paar Touristen, die im Hauptgebäude der Domaine wohnen und abends spazieren gehen, sind zwischen April und September so ziemlich die einzigen beweglichen Elemente in der schläfrigen Umgebung, die sich überwiegend der Photosynthese widmet.
Ich strich mir mit der Hand über die Wange und überlegte, ob ich mich gleich oder erst am nächsten Tag rasieren sollte. Im Augenblick war es noch nicht wirklich nötig, aber einen Tag später würde es schon wehtun. Das tickende Gurgeln des Espressokännchens und der Kaffeeduft lenkten mich von dieser Frage ab, und ich nahm das Kännchen vom Gas, schaltete den Herd aus und goss Milch in den elektrischen Aufschäumer. Der Hund bellte wieder.
Wenn man an Straßenbahnschienen oder einer Kirche wohnt, lernt man, den Lärm auszublenden, aber bei Hundegebell scheint das nicht zu funktionieren. Zumindest bei mir nicht. Ich lebte schon fast fünf Jahre hier und erschrak noch immer, wenn es wieder losging. Ich knall den jetzt ab, hatte Nina manchmal gesagt, ich weiß, der Hund kann nichts dafür, aber ich kann dann eben auch nichts dafür.
Es war still seit Ninas Tod. Keine Peter-Gabriel- und King-Crimson-Platten mehr, kein Gesumme französischer Gassenhauer, kein Scheppern und Schimpfen in der Küche und kein Kichern mehr über meine Marotten, zum Beispiel die, den Salat in Plastikbeutel zu packen, bevor er in den Kühlschrank kommt. Nur noch der Hund und dann und wann ein vorbeifahrendes Auto.
~
Es war Ninas Idee gewesen, sich das Haus zu teilen. Sie wollte den hinteren Teil mit dem schöneren Blick behalten, einen ehemaligen Stall, den sie mit ihrem Mann zu einer Art Loft mit großen Fenstern ausgebaut hatte, und ich sollte das Vorderhaus übernehmen, in dem ursprünglich Ferienwohnungen geplant gewesen waren, zu deren Ausbau sich das Ehepaar aber nie so recht hatte aufraffen können. Als sie dann kein Ehepaar mehr waren, hatte sich Nina das Haus ausbedungen und ihrem Exmann die Stadtwohnung in Paris überlassen. Gegen einen entsprechenden finanziellen Ausgleich, versteht sich, denn Nina war zu der Zeit schon längst zur Realistin geworden, die das Wesentliche vom Unwesentlichen trennte. Das Wesentliche war, niemals mehr von jemandem abhängig zu sein.
Du musst nichts dafür zahlen, hatte sie gesagt, ich schenk das lieber dir, als dass ich es einem Fremden verkaufe. Ich starrte sie damals nur an und schwieg, bis sie ins Bad verschwunden war, um zu duschen. »Danke«, rief ich dann irgendwann durch die geschlossene Tür hindurch, und »Willkommen«, brüllte sie zurück, als schimpfte sie mit mir. Direkt danach kam noch ein Schrei von ihr, weil sie das Duschwasser wohl zu heiß eingestellt hatte.
Seit ihrem Tod im Juli hatte ich den Eindruck, alles sei blasser geworden. Draußen