Studienarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universitt Bielefeld (Fakultt fr Linguistik und Literaturwissenschaft), Veranstaltung: Literatur des 20. Jahrhunderts (Teil III), Sprache: Deutsch, Abstract: "Ich habe das Buch so geschrieben, als wrden die Leute es so langsam lesen, wie ich es geschrieben habe." 1 Bei dem Eindruck aller bertriebenheit, deren man sich bei dieser Aussage Uwe Johnsons zu seinem Buch Mutmassungen ber Jakob gewiss nicht zu erwehren vermag, kritisiert sie gleichwohl epigrammatisch eine zeitgenssische Rezeptionshaltung, die den Leser bei der Lektre jenes Werkes zwangslufig scheitern lassen muss. Mit der besonderen Beschaffenheit des Buches, das bereits von Marcel Reich-Ranicki als "Provokation und unglaubliche Zumutung" 2 charakterisiert wurde, stellt sich der Autor bewusst gegen eine dominante Form des Lesens, die "sich eigentlich nur nach Signalen orientiert" 3 und somit dem Erwartungshorizont sowohl in Ost als auch in West quasi diametral gegenbersteht. Bereits die ersten Zeilen machen deutlich, dass dieser Roman ohne Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Mitarbeit nicht lesbar ist. So bietet das Werk der Leserschaft eine umfassende Offerte an sich ergnzenden, bisweilen widersprechenden Meinungen und lsst sie an den Schwierigkeiten der Wahrheitsfindung partizipieren. Mit der eigenwilligen formalen Anlage hat Johnson ein Werk erschaffen, das auf Grund seiner drei "Gesten des Erzhlens" eine hohe narrative Komplexitt aufweist, die zu der Annahme verleitet, der Autor habe nicht eigentlich ber, sondern vielmehr "gegen die bestehende Welt" 4 geschrieben. Dies erfolgt jedoch - wie Johnson selbst konstatiert - nicht aus einem Eigensinn oder Selbstzweck heraus, sondern wird durch die Handlung gewissermaen vorgegeben: "Die Geschichte sucht, sie macht sich ihre Form selbst." 5 Dass die Mutmassungen ber Jakob gerade wegen ihres "sthetischen Mehrwert[s]" 6 in der DDR unverffentlicht und ihren Brgern lange Zeit unzugnglich bleiben, whrend sie in der westdeutschen ffentlichkeit auf ein Publikum treffen, das mit den spezifischen Besonderheiten des ostdeutschen Lebens weitgehend unvertraut ist, lsst die Treffsicherheit der oft zitierten Formel vom "Autor der beiden Deutschland" fragwrdig erscheinen, obgleich sie nicht ber ihren unmittelbar nach der Publikation eingenommenen und mittlerweile weitgehend unbestrittenen hohen Rang in der Gegenwartsliteratur hinwegtuschen kann. So gehren die Mutmassungen in der Bundesrepublik neben Gnter Grass' Blechtrommel und Heinrich Blls Billiard um halbzehn nicht zuletzt der Schreibweise wegen zu den herausragenden literarischen Ereignissen des Jahres 1959. [...]