Veronika Egger, 1977 im bayerischen Miesbach geboren, hat zunächst Lehramt an der Uni Passau studiert, bevor sie an der VWA in Regensburg ein Tourismusstudium absolvierte. Seit 2008 ist sie Gästeführerin im Bayerischen Wald. Heute arbeitet sie in einer Agentur für Regionalentwicklung und bietet zudem Wandertouren und Themenwanderungen für Gruppen und Einzelgäste an.
Priesterkinder sind eines der größten Tabus der katholischen Kirche, es dürfte mehrere 10.000 Priesterkinder geben
Bewegende Geschichte einer sympathischen Absenderin
Für Leser:innen von Amelie Sander, Clarissa Vogel
Autorentext
Veronika Egger, 1977 im bayerischen Miesbach geboren, hat zunächst Lehramt an der Uni Passau studiert, bevor sie an der VWA in Regensburg ein Tourismusstudium absolvierte. Seit 2008 ist sie Gästeführerin im Bayerischen Wald. Heute arbeitet sie in einer Agentur für Regionalentwicklung und bietet zudem Wandertouren und Themenwanderungen für Gruppen und Einzelgäste an.
Leseprobe
Kapitel 1
»Ab sofort sagst du nicht mehr, wer dein Vater ist, Veronika!«
Ich sitze mit meiner Mutter an unserem kleinen Esstisch in der Küche und genieße eine große Portion leckere Nudeln mit Tomatensauce.
»Wieso? Warum soll ich das denn nicht mehr sagen?«, frage ich zwischen zwei Bissen und weiß wirklich nicht, was sie damit meint.
Doch Mama ist es ernst. Denn bevor ich weitere Fragen stellen kann, streckt sie mir kurz die offene Handfläche entgegen. Das heißt Stopp und ist die für sie typische Handbewegung, die kein weiteres Nachfragen mehr erlaubt.
Nur einen Satz zur Erklärung schiebt sie noch nach.
»Dein Schuldirektor möchte das nicht, und wir müssen uns daran halten ...«
Ich sehe sie irritiert an und verstehe auch nach diesem Hinweis nicht, warum ich nichts mehr über meinen Vater erzählen soll. Es gibt doch so viel Spannendes zu berichten. Allein diese farbenschillernden, wertvollen Gewänder, die er in der Kirche trägt. Ich wette, dass die Väter meiner Freundinnen so etwas nicht besitzen! Zudem darf ich in die Sakristei und dort die glänzenden Kelche bestaunen und in die vielen alten Bücher schauen. Und ich spiele auch mit Papas wertvollen riesengroßen Holzfiguren. Wer darf das schon? »Ein lustiger Engel mit einem großen Hut auf dem Kopf« ist übrigens meine Lieblingsfigur. Er blickt mich immer aus den Augenwinkeln an, egal von welcher Seite ich gucke. Das ist total faszinierend. Dazu hat er ein Lächeln, das mich an unseren Nachbarn Gustl erinnert, der mir immer Äpfel schenkt.
Ich bin auch dabei, wenn sich mein Vater auf wichtige Predigten vorbereitet und ganz konzentriert auf seiner alten Schreibmaschine tippt. Gut, ich muss dann ganz still sein, aber eine Zeit lang ist es trotzdem ganz schön. Ich male in dieser Zeit am liebsten Bilder, und das gleichmäßige Tippen ist wie eine beruhigende Melodie, die mich auf besonders ausgefallene Ideen bringt. Ich male gern Kirchtürme, aber auch Altäre und Heiligenfiguren, alles in bunten Farben und mit ganz viel Gold.
»Wir sind ein gutes Team«, sagt Papa häufig, lobt mich anschließend für meine farbenfrohen Bilder und liest mir im Gegenzug aus seiner fertigen Predigt vor. Meistens geht es darum, dass Gott uns liebt und immer ein Auge auf uns wirft. Ich mag diese Vorstellung. Sie gibt mir Sicherheit.
Das ganze Ergebnis seiner Schreibarbeit höre ich dann zusammen mit meiner Mutter bei der nächsten Sonntagspredigt in der Kirche. Leider sitzen wir nie in der ersten Reihe, sondern immer irgendwo hinten. Aber ich genieße es trotzdem, wenn ich meinen Vater dort vorn stehen sehe und alle ihm andächtig lauschen. Es ist mucksmäuschenstill in der Kirche. Man hört nichts, nur seine donnernde Stimme, die den ganzen riesigen Kirchenraum erfüllt.
Es ist ein wunderschönes Gefühl, dass der Pfarrer da vorn, der, den alle mögen und bewundern, den alle um Rat fragen und der auf alles eine Antwort weiß, zu mir gehört.
Aber mein Vater ist auch noch darüber hinaus etwas Besonderes. Er ist nicht einer dieser immer mürrisch dreinblickenden Pfarrer, die etwas Unnahbares haben, nein, dieser Pfarrer ist einer, der stets lacht, der überall dabei ist, wo sich die Gemeinde trifft, der mit allen scherzt und jedem zuhört. Er spielt Fußball, feiert Feste mit, sitzt in den Gasthöfen beim Kartenspiel und wandert an den freien Tagen mit Jugendlichen in den Bergen. Ich glaube, die Leute hier lieben ihn wirklich, ach was, ich glaube, man liebt ihn auf der ganzen Welt.
Und dieser tolle Pfarrer Graml, das ist mein Vater!
Aber das soll ich ja jetzt nicht mehr sagen. Dabei weiß es sowieso jeder, zumindest hier in meinem Weiler und auch in der Gemeinde, in Irschenberg, in der ich zur Schule gehe.
In Gedanken versunken schiebe ich die Nudeln, die mir gerade von der Gabel gerutscht sind, mit dem Löffel zurück und versuche, weiter mein Mittagessen zu genießen.
Mama stochert