Silvia Stolzenburg studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Tübingen. Im Jahr 2006 promovierte sie dort über zeitgenössische Bestseller. Kurz darauf machte sie sich an die Arbeit an ihrem ersten historischen Roman. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin arbeitet sie als freiberufliche Englischdozentin und Übersetzerin. Sie lebt mit ihrem Mann auf der Schwäbischen Alb, fährt leidenschaftlich Rennrad, gräbt in Museen und Archiven oder kraxelt auf steilen Burgfelsen herum - immer in der Hoffnung, etwas Spannendes zu entdecken.
Autorentext
Dr. phil. Silvia Stolzenburg studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Tübingen. Im Jahr 2006 promovierte sie dort über zeitgenössische Bestseller. Kurz darauf machte sie sich an die Arbeit an ihrem ersten historischen Roman. Sie ist hauptberufliche Autorin und lebt mit ihrem Mann auf der Schwäbischen Alb, fährt leidenschaftlich Mountainbike, gräbt in Museen und Archiven oder kraxelt auf steilen Burgfelsen herum - immer in der Hoffnung, etwas Spannendes zu entdecken.
Leseprobe
Kapitel 1
Nürnberg, Februar 1409
Die Sonne tat dem elfjährigen Jona in den Augen weh. Sie stand direkt über der trutzigen Feste, die hoch über der Stadt Nürnberg thronte, und blendete schon von Weitem. Der Schnee auf den Dächern warf das Licht gleißend zurück, weshalb Jona den Blick auf den von Hunderten von Rädern, Hufen und Füßen aufgewühlten Boden senkte. Inmitten eines Stroms von Pilgern und Bauern bewegte sich der Knabe auf die gewaltige Ringmauer zu, deren zahllose Türme weithin die Macht der Reichsstadt verkündeten. Nördlich erstreckte sich ein Waldgebiet, aus dem eine lange Schlange von Karren Baumstämme in die Stadt schaffte. Vor der Stadtmauer befanden sich eine Handvoll befestigter Gehöfte, Ställe und Gärten. Doch Jonas Aufmerksamkeit wurde von dem riesigen Tor angezogen, über dessen Durchgang das Wappen der Stadt prangte. Ein breiter Holzsteg führte über den Wallgraben, wo Torwächter in glänzenden Harnischen den Reisenden in den Weg traten. Als Jona keine zwei Steinwürfe mehr von dem Stadttor unter der Reichsfeste entfernt war, sah er sich verstohlen um.
»Du kannst genauso gut gleich wieder umkehren«, hatte ihm ein anderer Waisenknabe im Pilgerspital »Heilig Kreuz« geraten. Dort hatte Jona ein Nachtlager und ein einfaches Mahl erhalten - das erste Mal, seit er vor vier Tagen vom Henker aus Bamberg hinausgeprügelt worden war. Die Erinnerung an die furchtbaren Schläge ließen ihn instinktiv den Kopf einziehen und mit der Rechten nach seinem Rücken tasten, der immer noch grün und blau war. Er wusste, dass er Glück gehabt hatte, dass der Richter Milde gezeigt hatte. Denn der Diebstahl des Brotlaibes hätte ihn ebenso gut einen Finger kosten können. Er ließ die Hand wieder sinken und suchte nach einem Gefährt, das für sein Vorhaben geeignet war.
»In Nürnberg kann nicht jeder betteln«, hatte der Junge im Spital gesagt und Jona damit fast die Hoffnung geraubt. Sein Magen war leer, seine Beinlinge zerschlissen, seine Glocke - ein einfacher Kapuzenumhang - kaum dick genug, um die Kälte abzuhalten.
»Eigentlich dürfen nur Einheimische in der Stadt um Almosen bitten«, hatte der andere Waisenknabe ihn informiert. »Wer betteln will, muss zwei Zeugen beibringen, die seine Bedürftigkeit beschwören, und eine Bettelmarke kaufen.«
Jona hatte ihn ungläubig angesehen.
»Die Bettelmarke muss offen getragen werden«, hatte der Junge weiter berichtet. »Wer ohne aufgegriffen wird, bekommt Ärger mit dem Bettelmeister und den Stadtknechten.«
Als Jona seine wenigen Pfennige aus der Tasche gezogen hatte, um sie zu zählen, hatte der Junge abgewinkt. »Als fremder Bettler darf man sich nur drei Tage in der Stadt aufhalten. Verding dich lieber als Mörtelträger beim Bau der neuen Ringmauer.«
Aber darauf hatte Jona nicht die geringste Lust. War er nicht wegen der harten Arbeit aus dem Elisabethenspital in Bamberg fortgelaufen? Wie dumm wäre es, jetzt in einer anderen Stadt noch härter zu schuften, um etwas zwischen die Zähne zu bekommen? Sein Blick blieb an einem Karren haften, auf dem sich Butterfässer stapelten. Da er nicht vorhatte, Nürnberg nach nur drei Tagen wieder zu verlassen, blieb ihm keine andere Wahl, als sich heimlich in die Stadt zu stehlen. Denn für den Torzoll reichten seine bescheidenen Mittel ganz sicher nicht aus.
Er zog die Kapuze seiner Glocke über den Kopf und schlängelte sich zwischen den Wartenden hindurch. Hie und da erntete er Protest. Ein bulliger Müller versetzte ihm gar einen Rippenstoß, aber Jona ignorierte sein Schimpfen. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt näherte er sich dem Karren mit den Fässern, dessen Lenker genauso träge den Kopf hängen ließ wie der Ochse davor. Zwei Schritte hinter der Pritsche machte Jona Halt, gab vor, die Lumpen an seinen Füßen neu wickeln zu müssen und ging in die Knie. Während er versuchte, seinen hämmernden Herzschlag zu beruhigen, sammelte er Mut. Er durfte ei